“Wir machen jetzt doch kein Social Media”, berichtete mir vor wenigen Tagen der Kommunikations-Chef eines befreundeten Unternehmens. Er war sichtlich stolz, dass zu verkünden. “Nach aktuellen Umfragen machen unsere Kunden gar kein facebook”, war sein Totschlag-Argument. Was seine 100.000 Kunden wohl dazu sagen? Ich versuchte mir die Überraschung nicht anmerken zu lassen.
Deutschland im 10. Jahr nach Social Media
Wieder hat ein Unternehmen nicht die Bandbreite und die Bedeutung sozialer Interaktion auf “Web 2.0″-Plattformen erfasst. Auch 2013 – zehn Jahre nach der Erfindung von OpenBC (jetzt Xing) – ist vielen nicht klar, was soziale Netzwerke und Medien bedeuten oder wie sie funktionieren. Und viele – vor allem ältere Kollegen – reduzieren soziale Netzwerke nach wie vor auf facebook. Nun, wer seine Kontakte nach wie vor mit dem Rolodex pflegt, mag sich mit dieser Einstellung auf der sicheren Seite fühlen, ist er aber nicht. Die Übersetzung der Botschaft “Wir machen kein Social Media” lautet nämlich: “Wir wissen einfach nicht, was wir mit diesen modernen Plattformen anstellen sollen.”
Mythos Reichweite
Ein ebenso gern genanntes Argument gegen Social Media ist die Reichweite. Wer seine Kommunikation an klassischer Auflagenstärke misst, ist enttäuscht, wenn er facebook- oder youtube-Statistiken sieht. Diese zeigen oftmals brutal ehrlich, wieviel User sich wirklich für den Content einer PR-Maßnahme interessieren. Der Vergleich zu einer Anzeigenzeitung mag dann gering erscheinen. Aber hey, wer glaubt denn wirklich, dass jede Gratiszeitung von A-Z durchgelesen wird?! Endlich gibt es mal konkrete Zahlen – die sehen oft nicht so gut aus. Reichweite gibt es in sozialen Netzwerken auch nur für gute Inhalte und einen langen Atem. Oder gegen Geld für “sponsored content”, womit wir aber schnell auf dem Niveau der Anzeigenzeitungen wären.
Die Sache mit der Professionalität
Aktuelle PR-Themen für Social Media aufzuarbeiten ist etwas Arbeit. Erstmal eine medienübergreifende Strategie zu entwickeln noch viel mehr. Und die steht aber erst am Anfang. Wollen wir im Web nur unsere Werbung verbreiten oder auch Kunden gewinnen? Wollen oder können wir hier auch Service bieten? Wie gehen wir mit Kritik um? Wer diese Fragen beantworten kann, ist schon auf dem richtigen Weg. Eine Social-Media-Strategie ist kein Hexenwerk. Sie kostet keine zehntausenden Euros (Es sei denn, man ist ein Weltkonzern). Man muss nur den Willen mitbringen, sich damit professionell zu beschäftigen und. Etwas Zeit und etwas Geld sind auch nötig. Gemessen an den restlichen Marketing-Etats ist das aber relativ wenig.
Wer macht eigentlich “Social Media”
Ich bin vor ein paar Tagen gefragt worden, wer bei uns “Social Media macht”. Meine Gegenfrage war: “Wer macht bei Euch denn Telefon?” Ich habe entgeisterte Blicke geerntet. Dabei sind beides Kommunikationskanäle. Social Media bedeutet für uns in kumulierten Kommunikationskanälen zu denken, an deren Enden Spezialisten sitzen. Werbung macht das Marketing. Service macht der Vertrieb. Ausbildung die Personalabteilung und PR die Kommunikation. Vorangetrieben wird das alles aus der Kommunikation und nicht von Praktikanten. Das klappt nicht immer, aber zunehmend besser.
Klar: wir haben uns beraten lassen. Das tun wir ja auch bei jeder Werbekampagne, für die wir Geld ausgeben. Und klar ist auch, dass sich die Kommunikation in den letzten zehn Jahren verändert hat. Und jeder, der sich damit beruflich auseinandergesetzt hat, wird das bemerkt haben. Die Augen zu verschliessen hilft nicht.
Wer nicht dabei ist, ist nicht dabei
Wenn Kommunikationschefs oder Geschäftsführer nicht sehen, welche Chancen ihnen im Vertrieb, dem Recruiting oder der PR entgehen, wird sich die Konkurrenz sicher freuen. Auch darum finde ich es gut, dass längst nicht alle Firmen bei facebook sind. Schon jetzt ist das “Freunde-Netzwerk” nur noch mit Werbung verstopft. Jeder dritte Eintrag in meiner mobilen Timeline ist gesponsert oder “gefällt einem Freund”. Dass will ich aber gar nicht. Ich wollte ja bei facebook meine Freunde treffen und sehen, was sie so machen. Etwas Werbung ist ja okay, zuviel nervt – besonders wenn sie schlecht ist. Denn wenn man ehrlich ist, sind die meisten Unternehmenskampagnen auf facebook auch eher langweilig oder peinlich. Darum: Daumen hoch für alle Firmen, die nicht auf facebook sind!
(Oder youtube, Xing, flickr, Google+, Vimeo, Linkedin, Blogger, Twitter, Pinterest, WordPress, issuu, Tumblr…)
Amen!
Spitzenbeitrag und Tumbler ohne h!
Nachts sollte ich besser schlafen, statt zu bloggen
Das halte ich fürs vernünftige Herangehen an uneindringliche Kommunikation mit Kunden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das Wort “Werbung” selbst schon ziemlich negativ von Konsumenten angenommen wird. Ich selber bin Anhängerin der Werbung, die informiert, gut und schön ist, wenn man sich vom Prinzip “weniger ist mehr” leiten lässt.
Danke für den guten Artikel.
Beste Grüße
Helen
Hallo,
insgesamt: Gefällt mir. Ich habe auch schon öfters im gleichen Tenor geschrieben. Bei einem Argument würde ich gern reingrätschen:
“Wer nicht dabei ist, ist nicht dabei”
Das würde ich gern relativieren: Facebook (je nach Zielgruppe durch LinkedIn oder Pinterest ersetzen) ist irgendwie das, was ein Marktplatz vor 200 Jahren darstellte. Wer einfach abwesend ist (was aber nicht unbedingt verkehrt sein muss), kann nicht vermeiden, dass über ihn gesprochen wird. Daher sollte jeder ein rudimentäres Maß an Tracking haben. Ich spreche nicht von aufregenden Social Media Monitoring Tools, aber viele haben noch nicht mal einen Google Alert.
lG
Stephan
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